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BAföG Vorausleistung: Leistungsminderung in Höhe des Kindergeldes?

Im Falle der Vorausleistung des BAföG gem. § 36 BAföG wird – wegen einer speziellen Dienstanweisung des Bundesministeriums für Bildung aufgrund einer m.E. abenteuerlichen Interpretation zweier Entscheidungen des BVerwG aus dem Feb 2010 zu einem völlig anderen Gegenstand – der Geldbetrag des an den Auszubildenden weitergeleiteten oder direkt abgezweigten Kindergeldes vom monatlichen BAföG (Voraus-) Leistungsbetrag abgezogen, d.h. der monatliche Anspruch auf BAföG soll sich um i.d.R. 184 € mindern.

Ich halte diese Verfahrensweise für rechtswidrig, insbesondere für verfassungswidrig, denn seit der BAföG-Reform von 2001 durch das Ausbildungsförderungsreformgesetz (AföRG) spielt das Kindergeld im gesamten Rechtsbereich des BAföG keine Rolle mehr, d.h. das an wen auch immer gezahlte Kindergeld wird nicht als Einkommen betrachtet/angerechnet.
Die oben beschriebene Verwaltungspraxis widerspricht schon der eindeutigen gesetzgeberischen Intention für das AföRG 2001, die in der BT-Drs. 14/4731, S. 40 f. nachzulesen ist, wonach auch bei der Vorausleistung gem. § 36 BAföG die völlige Unabhängigkeit von Kindergeldleistungen gewollt war.
Vor allem aber ist kein hinreichender Grund erkennbar, warum die durch Vorausleistung Geförderten gegenüber anderen BAföG-EmpfängerInnen derartig benachteiligt werden sollten. Die Verwaltungsvorschrift verstößt damit m.E. eklatant gegen das Gleichbehandlungsgebot gem. Art. 3 Abs. 1 GG.

Leider haben sich bisher kaum Betroffene gefunden, die diese Frage dem Verwaltungsgerichten vorgelegt haben.
Allein in Bayern 2009 (VG München, BayVGH) und Niedersachsen 2010 (VG Hannover 9. Kammer, Nds. OVG)  sind bisher solche Fälle den Gerichten vorgelegt worden. In diesen Fällen wurde mit Verweis auf den Begriff der Ausbildungsgefährdung des § 36 Abs. 1 BAföG gegen das Begehren der Kläger argumentiert. Der Begriff der Gefährdung der Ausbildung sei vom Begriff der Einkommensanrechnung zu unterscheiden und die Ausbildung sei in der Höhe des weitergeleiteten Kindergeldes nicht gefährdet …
Am 12. Mai 2011 entschied nun aber das VG Hannover (3. Kammer – Az. 3 A 44/09) ausführlich und fundiert begründet für den Auszubildenden. Allerdings wurde aus Bonn seitens des Bildungsministeriums unverzüglich angewiesen, dass hiergegen Berufung durch die Verwaltung geführt werden sollte, so dass dieses Urteil (bisher) nicht rechtskräftig geworden ist. Der Fall ist am Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG Lüneburg)  unter dem Az: 4 LC 158/11 anhängig ewesen und wurde am 24. Januar 2014 zu Gunsten des Auszubildenden entschieden (vergleiche hier meinen Artikel zur aktuellen Entscheidung “OVG Lüneburg gegen Anrechnung von Kindergeld bei BAföG Vorausleistung”).

Ich selbst begleitete unter vielen anderen nunmehr einen zweiten Fall am OVG Lüneburg gegen eine ablehnende Entscheidung des VG Oldenburg aus dem Jahr 2013.

Ich empfehle dringend allen Betroffenen – insbesondere denjenigen, an die das Kindergeld nach Abzweigungsantrag direkt gezahlt wird- ,  den Rechtsweg zu bestreiten, ggf. auch durch alle Instanzen, damit hoffentlich wenigstens das Bundesverfassungsgericht endlich die verfassungswidrige Praxis der Verwaltung beenden kann.

Siehe zu den aktuellen Entwicklungen der Rechtsprechung hier auf meiner Seite:
http://www.rechtsanwalt-sozialrecht-berlin.de/2014/02/ovg-luneburg-gegen-anrechnung-von-kindergeld-bei-bafog-vorausleistung/