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Hartz IV – Regelsätze verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 09.02.2010 zu den Aktenzeichen 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 entschieden, dass die bisherige Ermittlung der Regelsätze für Erwachsene und Kinder in § 20 SGB II und § 28 SGB II verfassungswidrig war, weil sie weder dem Gebot zur Unantastbarkeit der Menschenwürde noch dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes entsprach.

Nach der ersten mündlichen Zusammenfassung der Urteils durch den Präsitenten des Bundesverfassungsgerichts Papier seien aber die bisherigen Regelungen bis zum 31.12.2010 weiter anwendbar. Bis zum 1.1.2011 muss allerdings ein neues Verfahren zur Ermittlung der Regelsätze erarbeitet werden, das den tatsächlichen Bedarf von Hilfebedürftigen transparent widerspiegelt und die Regelsätze entsprechend festlegt. Ab sofort können aber unabweisbare dauernde Belastungen, die in den bisherigen Bedarfsermittlungen nicht enthalten waren, über die JobCenter und ARGEn gewährt werden. Das betrifft z.B. Kosten für Fahrten und Unterkunft von Hilfebedüftigen zur Wahrung des Besuchsrechts der Kinder, die in anderen Orten wohnen oder besondere Aufwendungen für chronische Krankheiten etc.

Hinsichtlich der konkreten Höhe der gegenwärtigen Regelsätze von Erwachsenen äußerte sich das Gericht allerdings dahingehend, dass diese nicht offensichtlich zu niedrig sei. Jedenfalls sei die Regelsatzanpassung im Wege der Anpassung an den Rentenwerten unbrauchbar, um die Entwicklung des Bedarfs zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums aufzufangen. Für die Kinderregelsätze trifft das natürlich mindestens genauso zu.

Das Urteil ist als eine schallende Ohrfeige für die politisch Verantwortlichen der “übergroßen Koalition” von SPD/Grüne/Union und FDP anzusehen. Denn die nun verfassungsrechtlich festgestellten Mängel bei der Regelsatzermittlung sind schon vor Einführung des SGB II und bis heute zumindest in Fachkreisen ausführlich diskutiert worden.
Auch Hunderte von Richtern und Richterinnen an Sozialgerichten und Landessozialgerichten haben in ihren Urteilen keinen Anlass gesehen, diese Frage dem Verfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen und haben somit zur Stabilisierung des verfassungswidrigen Systems der Regelsätze für Hilfebedürftige seit 2005 beigetragen.

Im Übrigen betrifft das Urteil mittelbar auch die Empfänger von Sozialhilfe; also Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII.

Die genauen verfassungsgerichtlichen Vorgaben zur neu zu bestimmenden Methode der Ermittlung der Regelsätze und insbesondere zur Rechtmäßigkeit von aktuellen Bescheiden sind im Einzelnen der Analyse der ausführlichen Urteilsbegründung vorbehalten.